Literatur zur Zeit

Konzepte

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Vom Mondsee zum Marschierer in Paris
Zu Bachmann, Frisch und Nizon

Ralf Bönt

Sich in die Lage anderer zu versetzen ist nicht leicht. Wieviel versteht der Bauherr vom Bauarbeiter, der Linksverteidiger von den Träumen und Traumata des Schiedsrichters? Eine mögliche Leistung von Literatur, dieser Kommunikationskunst, ist es, uns in die Situationen anderer zu versetzen. Zwei Bücher, die diese Funktion im tobenden Krieg vollständig erfüllen, Vermittler der Liebenden sein können, wenn Konsumentinnen und Konsumenten wollen sind Bachmanns »Malina«, klar, und - offenbar weniger häufig gelesen - Nizons Caprichos »Im Bauch des Wals«: zweimal das Angebot, die Ergebenheit gegenüber dem Anderen in ihrer Sinnlichkeit, in ihrer Schönheit und Heillosigkeit, zwischen Hoffnung und Resignation zu erleben, frei von Ressentiment und ohne Bitterkeit. Wenn wir, verändern und nicht wenig wollend, in wie auch immer differenzierten Diskursen, Vermittler zu Klassikern machten, dann, so glaube ich, wäre etwas gewonnen.

In den Bezirken von Post-, Anti- und Trivial-Feminismen handelt es sich meist um recht strikte Binnendiskurse, gesprochen wird noch immer fast ausschließlich unter Frauen. Indem sie das überhaupt tun, führen sie das Wort, was schlicht fatal ist.

Ingeborg Bachmann schreibt gleich zu Beginn: »Ich war allerdings von Anfang an unter ihn gestellt, und ich muß früh gewußt haben, daß er mir zum Verhängnis werden müsse, daß Malinas Platz schon von Malina besetzt war, ehe er sich in meinem Leben einstellte.« Und ist damit bemüht, die ewige Diktatur des Weibes zu untergraben. Ich vermute, daß deshalb dieser Satz die Leserinnen heute leicht verprellt. Ich stieg bei diesem Satz ein, hier faßte mich eine Stimme an: Komm, ich zeig dir was. Im Verlauf des Romans habe ich eine größere Aufmerksamkeit den Mechanismen weiblicher OhnMacht, ihrer vermeintlichen Untergebenheit, Unterlegenheit, eine neue Aufmerksamkeit dem Chaos der Zuneigung gegenüber erlernt. Was ließe sich Besseres von einem Buch sagen, als daß man Achtung und Aufmerksamkeit durch es gewonnen habe? Bachmann scheint zunächst die Klischees zu bedienen, sie holt den Leser ab, um dann alles in einer anderen Wahrheit, einer anderen Unmöglichkeit, einer anderen oder der Liebe zu zeigen. Alle kennen Malina, okay.

War dort die Ergebenheit das Klischee, so wird im umgekehrten Fall die Körperhaftigkeit Projektionsfläche aller Ablehnung. Paul Nizon räumt mit einer ebenso dumm koketten wie auch verbreiteten Fiktion einer erstens ausschließlichen, zweitens häßlichen oder rücksichtslosen Körperlichkeit auf: Sein Marschierer ist, von der Mutter kommend, allein mit einer unerfüllten und unerfüllbaren Sehnsucht nach Nähe, Verbindung, allein mit dem Eros. Eine Affäre stiftet Unruhe in ihm: »Er weiß nur, daß es ein Ankommen war wie nach langen Irrfahrten, daß es das Einfachste, das Tiefste war, daß ihn ein Gemisch aus Jubel und Staunen und Mut und Kraft erfüllt hat und daß es voller Vertrauen war.« Er bleibt verwirrt zurück. Der Marschierer sucht weiter, schleicht um die Telefonzelle und verliert bei jeder Umrundung einen Teil seines Mutes. Er findet nicht, verliert, ist am Ende »definitiv allein.« Der Erzähler: »Der Raum der Erwartung stillt sich nie mit dem Stoff der Erfüllung.« Am Ende seines Opferganges, bei der Hure noch brennt des Marschierers Hoffnung auf Erlösung in Zuneigung, in der Wärme der Frau vor seinen Augen, in der Umarmung. Sie verbrennt ihn. Er »fällt aus der Welt«. Der Erzähler, sich an anderer Stelle gegen die Liebesfeindlichkeit einer italienischen Erotik abgrenzend, zur Hurenszene: »Jemand wie meine Mutter hätte davon natürlich nichts hören wollen.«

Ende der Reise vor ihrem Beginn? Auch wenn sie vielleicht doch ein oder zwei Mal hart an der Grenze zum Weichzeichnen entlangschrappen mögen, die Träume »Im Bauch des Wals« schlagen einen festen Pflock ins dumme Herz des vieltausendfüßigen Zeitgeistes. Unendlich reeller und damit brauchbarer erscheint der Kampf von Nizons Erzähler gegen den Marschierer in sich z.B. im Vergleich mit dem Schicksal eines Walter Faber, der nicht nur aus Versehen mit seiner Tochter schläft, sondern leider noch ausversehener durch die unbedachte Darbietung seines nackten Körpers ihr Leben beenden muß. Er tötet also durch bloße Existenz (solange man nicht anzunehmen gewillt ist, daß seine Häßlichkeit zu töten in der Lage sei) und macht so gerade jenen überheblichen Eindruck, in dem die eigentliche platte Lüge schon ganz aufgeht: was für ein Blödsinn, den Frisch mit kitschigen Bemerkungen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff zu klittern versucht. Den Schulämtern freilich kommt jene Affirmation gerade recht.

Ohne Liebe und Sex aufeinander zu reduzieren, selbstverständlich ohne eine Diskussion gesellschaftlicher Recht- und Pflichtverhältnisse ersetzen zu wollen: Nizons Erinnerung an männliche, möglicherweise kopulierende und dennoch liebende, die Liebe suchende Helden und ihr heilloses Glück stellt in ihrem schlichten Wahrheitsgehalt die schönsten, besten Lebensimpulse in eine Zeit der - tja: fortgesetzt kursierenden Bequemtheoretik mechanisch leugnender Opferphilosophien der Verbiesterten und Verklemmten, die, zu eigener Arbeit zu faul, Kommunikation schnell durch blockierende Polarisation ersetzen. Nizons Wahrheiten sind dagegen im besten Sinne politisch korrekt.

Daß Paul Nizon nicht in bemühter Absicht eines solchen dezidierten Diskurses schreibt - das Buch ist mit diesem Kontext auch in keinster Weise zu erschöpfen - mag ein Grund für die zu beklagende schleppende Wahrnehmung im deutschen Sprachraum sein. Nizon besticht durch Radikalität in der Grundsuche, er selbst und die französische Kritik sprechen von existentieller bzw. reiner Literatur. Dem Vorwurf der Selbstreferentialität soll hier jedenfalls entgegengetreten sein, er widerlegt sich schon im ersten Bild: ein Soldat, der im Schützengraben vor der Mandschurei verlassen seinem gesellschaftlichem Auftrag nachgeht, während seine Träume allein von der Nacht mit einer Frau bestimmt sind. Um hier eine Objektivabwertung weiblicher Identität zu entdecken, bedarf es schon eines ziemlich verschrobenen Persönlichkeitsbildes, dessen einzige Entschuldigung vermutlich unbarmherzige Jugend ist.

Im Gesamtwerk von Paul Nizon wird dieses ewige Thema mitunter auch anders ausgeleuchtet, was die Caprichos evtl. in eine Entwicklung stellt. Ich empfehle dieses Buch oft und mache dabei leider die Erfahrung, daß nicht nur jene Mutter gerne weghören will.

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