Literatur zur Zeit

Konzepte

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Neue Nuyoricana

SPOKEN WORD ON PAPER

Ralf Bönt

Künstlerszenerien in New York ist es eigen, von Touristen leicht abgegriffen werden zu können. Die allermeisten Beteiligten lassen sich davon aber nicht abschrecken, ihre Standortwahl ist wohl durch seine Fruchtbarkeit bestimmt: Es wird kaum Plätze der westlichen Welt geben, die für neue Entwicklungen mehr Notwendigkeit und Raum zugleich schaffen als New York - wie auch immer man das finden mag.

»Während wir der Jahrtausendwende entgegenspurten,« sagt Bob Holman, chairman des Nuyorican Poets Café (Du 4/94), »passiert etwas Komisches in den Vereinigten Staaten: Lyrik.« Holman ist Weltreisender in Sachen Spoken Word. Unter diesem Label hat eine die Beat-Zeit erinnernde Generation Anfang der 90er eine neue Kunstform durchgesetzt, die sich vom etablierten Betrieb abhob oder, aus dessen Sicht, gar gegen ihn gerichtet war. Charakteristisch ist das Fehlen von Berührungsängsten, nicht nur etwa zwischen Ethnizitäten, die leben in NY eh überall neben-, gegen- und miteinander (mehr als daß sie, wie oft gesagt wird, verschmelzt würden). Entscheidender ist, daß die urbanen Poeten mit direkter Unterhaltung auf der Lesung genauso wenig fremdeln wie mit politischer Stellungnahme, um nur zwei ansonsten schnell als Sumpfgebiete literarischen Arbeitens begriffene Aspekte zu nennen.

Spoken Word ist dezidiert unakademisch. Die Lesungen sind Parties auf denen das Leben gefeiert wird und die Poesie gleich mit. Es kann gut sein, daß es vor allem der Verzicht auf den elitären Gestus ist, der die Poetry Slams so lebendig und damit für alle Seiten attraktiv macht: Jeder liest im Café, die dekorierten Heroen ebenso wie die Anfänger und das Publikum rumort, wenn es Lust hat, wenn alles bestens ist. Schlechtes und Falsches wird ausgebuht, das gehört zum Spaß, und die halbwegs zufällig ausgewählten Juroren und ein erster Preis von 5 $ (soviel beträgt auch der Eintritt) karikieren zunächst den üblichen Jurybetrieb, ohne Qualität dabei negieren zu müssen. Respekt wird denn auch jedem entgegengebracht: innerhalb der Poetenzirkel existiert eine angenehme Geschwisterlichkeit, die auf den Lesungen präsent ist, ohne extra vorgezeigt werden zu müssen. Poet zu sein, bedeutet eine Lebensform und Freunde, die dasselbe tun. So hat es eine seriöse Notwendigkeit in sich und macht Spaß.

Die US-Zentren des Spoken Word sind jetzt New York, Chicago und San Franzisko. Alan Kaufman (siehe Interview Konzepte 15) oder Paul Beatty (der bald ein DAAD-Stipendium in Berlin wahrnimmt) sind als Stars der ersten Generation auch hierzulande schon herumgereist. Die Pioniere haben mit Nu Yo Records jetzt ein eigenes Label aufgemacht und sprechen im MTV oder sacken Preise von der New York Times ein. Bob Holman - laut New Yorker vom Juni 95 hat niemand mehr für die Lyrik in der Öffentlichkeit getan als er - produziert gerade die fünfteilige TV-Dokumentation »The United States of Poetry«.

1994/95 schwappte Spoken Word in deutsche Großstädte: Zap Zarap in Köln, Ex 'n Pop, Roter Salon und Delicious Doughnuts in Berlin, Poetry Café in D'dorf und Substanz in München sind bekanntere Adressen. Auch der offiziellere Literaturbetrieb klinkt sich ein, z.B. mit Veranstaltungen in der Berliner literaturWERKstatt oder Galrev schon früher mit der Anthologie »Slam! Poetry.«. Beim hiesigen Publikum habe ich jenen entscheidenden Respekt für das Neue aber öfter
vermißt, man muß da jeweils kucken, ob man nicht vielleicht nur Mode vor sich hat, eine Kunst ohne Kontext, eine weitere verständnislose Kopie US-Amerikas.

Neben Bob Holmans Rock'n'Roll Mythology, die sicher als sein persönliches Manifest bezeichnet werden darf, und dem wir für Kooperation herzlich danken, stellen wir ausgewählte Protagonisten der zweiten Generation vor, die man dem Touristen in NY (der poetry calendar am Kiosk informiert über alles) empfehlen kann und nennen es »Spoken Word on Paper«: Der Auftritt der Autoren ist das eigentliche Medium und das gedruckte Wort bietet davon vielleicht noch soviel wie das Plakat von einem Kinofilm oder ein paar Seiten Auszug aus einem Roman.

 

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