Literatur zur Zeit

Konzepte

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Sonne und Mond

Roland Koch

Im August 1956, Benn und Brecht waren gestorben, fand in Hamburg das berühmte Gespräch zwischen Hans Henny Jahnn und Heimito von Doderer statt. Die beiden waren im Wartesaal des Dammtor-Bahnhofs mit Professor Adolf Beck verabredet, der sie miteinander bekannt machen und als Vortragende für sein Symposion über Körper und Sexualität in der Literatur - »Leib und Gestalt« nannte er das damals - gewinnen wollte. Die beiden Männer hatten sich schon kennengelernt, aber der Professor war nicht pünktlich. Doderer, der von einer Lesereise kam, ärgerte sich sichtlich über die Verspätung und sah scharf zum Eingang. War das nicht eben ein Schrei, Herr Rittmeister, fragte plötzlich Jahnn, vielleicht der einer Gepeitschten? Lassen Sie uns einander beim Vornamen anreden, und sagen Sie ruhig Heimito, verehrter Hans, sagte Doderer großzügig. Jahnn schnupperte. Sie riechen gut, Heimito, sagte er freundlich, darf ich Sie fragen, welches Eau de toilette Sie benutzen? Doderer nannte gereizt den Namen eines Lavendelwassers. Dann zog er ein Pfeifenetui hervor, und tat so, als ob er rauchen wolle, obwohl er das gar nicht zu können schien. Worüber sollen wir eigentlich sprechen? knurrte er dann heiser. Über unsere Leiber und über die Gestalt des Leibes in unseren Werken, so habe ich Beck verstanden, gab Jahnn bereitwillig Antwort. Und wollen Sie wirklich über Ihr Geschlechtsleben Auskunft geben? fragte Doderer. Man muß das alles selbst erlebt haben, sagte Jahnn gekränkt, sonst kann man nicht wuchtig darüber schreiben! Ich schreibe Romane, Fiktion, die nicht von mir handelt, warf Doderer ein, doch brach er mitten im Satz ab. Sie haben recht, Hans, sagte er dann, ich selbst habe herausgefunden, daß Elias noch nie einen Menschen umgebracht hat, und ich fürchte, er schreibt auch so. Und diese ganze Hampelei bei Thomas, spann Jahnn den Gedanken fort, so geht es nicht weiter. Kannten Sie ihn? fragte Doderer. Jahnn nickte unbestimmt. Eine Enttäuschung, sagte er, er war eben bloß Stilist. Eine Enttäuschung, wiederholte Doderer. Ein Affe, fuhr Jahnn fort, jetzt ist er tot. Ich wußte das schon immer, was er da so geziert und verschnörkelt beschrieben hat, damit kommt er heute nicht mehr durch. Neunzehntes Jahrhundert! Ich muß gestehen, ich bin nicht so gut informiert, schnarrte Doderer, aber erzählen Sie doch! Thomas hat immer nur seinen eigenen Leib beschrieben und seine Zustände ausgemalt, aber es ist keine wirkliche Erfahrung darin, alles nur leeres Gedrechsle. Wir brauchen eine ganz andere Literatur, die offen zur Sache spricht, die tief eindringt und ausschöpft, die eine Masse von Material verarbeitet. Ich stimme Ihnen da vollkommen zu, sagte Doderer zerstreut und machte eine Pause. Wir brauchen eine Revolution, wir müssen das Fleisch in seiner ganzen Fülle, in seinen Ausschweifungen, in seiner Lust beschreiben, ohne noch irgend etwas darüber zu decken, es müßte ein Roman geschrieben werden, der sozusagen schon von der Form her reines Fleisch ist. Er war lebendiger geworden, seine Augen glänzten, und er vollführte mit beiden Armen ausmalende Bewegungen, bis die Kellnerin kam und auf einem Tablett eine Karte überbrachte. Professor Beck läßt sich entschuldigen, las Jahnn vor, er wird eine Stunde später kommen, er sitzt in einer Konferenz fest. Doderer kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und dachte nach. Haben Sie nicht irgendwas geschrieben, lieber Hans, in dem Sie eine große Menge nackter Körper um sich versammeln und sich dann immer einen aussuchen, wo steht das noch? Das stimmt so überhaupt nicht, sagte Jahnn ärgerlich, genau im Gegenteil. Ich sage da, selbst wenn man unzählige begehrenswerte Körper vor sich hätte, man könnte doch nur mit einem zur gleichen Zeit verkehren, das ist ja gerade die Beschränkung. Doderer bestellte einen neuen Kaffee und grinste. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: Das ist es, sie alle übereinanderlegen und dann..robieren, ergänzte Jahnn, und die beiden Männer lachten fröhlich wie Kinder, die gleichzeitig dasselbe gedacht haben. Heimito, Sie sind ein Schwein, sagte Jahnn, und wieder brachen sie beide in wildes Gelächter aus. Jahnn bestellte zwei Schnäpse, und sie prosteten sich zu, als hätten sie soeben ein für beide profitables Geschäft abgeschlossen. Ist nicht die eigentliche Kunst die Kunst der Verfremdung, ich meine nicht der Verstellung, sondern der Verschmelzung der Erfahrung mit dem Erfundenen, die dann sozusagen Züge dessen trägt, was man nicht erlebt, aber sich immer gewünscht hat? fragte Doderer nachdenklich. Nein, Heimito, das Rohe, das Ungeschlachte, das Nackte zu zeigen ist die eigentliche Kunst und nicht merken zu lassen, wie echt es ist; als Erfindung aussehen zu lassen, was wahr ist, das ist die höchste Ebene des Schreibens. Übrigens, haben Sie »Lolita« gelesen? fragte Jahnn leise, doch der andere wehrte mit beiden Händen ab. Dieses Herumgedruckse können wir nicht bewundern, sagte Doderer, so als spreche er ab jetzt immer für sie beide. Sie hatten die nächsten beiden Schnäpse schon getrunken, und beide beugten sich über den Tisch. Es geht nicht darum, zu umschreiben, sagte Jahnn, es kommt darauf an, eine Sprache für das Geschlecht und den Geschlechtsakt zu finden. Der Geschlechtsakt läßt sich nicht beschreiben, widersprach Doderer. Wir müssen es immer wieder versuchen, sinnierte Jahnn, wir müssen die Sprache so lange bearbeiten, bis sie sich fügt. Wir müssen sie auspeitschen, lachte Doderer heiser, bis sie sich wie ein weiches Gewand um den Gegenstand legt. Das Thema wird unerschöpflich sein, fuhr Jahnn fort. Wir haben sozusagen immer nur die Seele der Seele beschrieben, es käme darauf an, die Seele des Körpers zu enthüllen. Die Seele des Körpers, wiederholte Doderer, die Seele des Geschlechts und die Seele der Schönheit. Ein guter Titel, nickte er anerkennend, die Seele des Körpers. Man muß in diese Seele hineinleuchten und aus dem äußeren Körper einen Lichtstrahl austreten lassen! Beide waren in tiefes Nachdenken versunken. Gleichzeitig und synchron beendeten sie es, zogen schnell ein Notizbuch heraus und schrieben etwas hinein. Es käme darauf an, wer von uns beiden es noch einmal schafft, sagte Jahnn listig. Es kommt auf die Schönheit an, die Schönheit des vollkommenen menschlichen Körpers. Das ist noch niemandem gelungen, bemerkte Doderer, den menschlichen Körper total zu beschreiben, das wäre eine unlösbare Aufgabe. Aber wir können es versuchen, krähte Jahnn, jeder auf seine Weise! Die menschliche Schönheit läßt sich nicht abschreiben, es gibt keine Worte, sie zu beschreiben, ein Schriftstellerleben würde nicht ausreichen, die Sprache zu finden. Nimm einen schlanken muskulösen Knaben, begann Jahnn eifrig und stelle ihn vor dich hin. Oder eine rundliche, üppige Frau. Das könnte dir so passen, keifte Jahnn. Oder laß die beiden zusammen sein, laß sie sich umarmen und beschreibe das! Jahnn schluckte heftig und winkte nach den nächsten Schnäpsen. Das wären die idealen Körper und die ideale Szene, nur daß wir sie nicht zu malen, sondern zu beschreiben haben. Was meinst du? Abgemacht, schrie Jahnn, standen beide auf und schüttelten sich heftig die Hände. Es wäre ein Experiment, sagte Doderer, wir können nicht verlieren. Wir brauchen ein Atelier, das mit weißen Tüchern ausgekleidet wird, und wir brauchen die Modelle, alles andere können wir nicht steuern. Ich könnte ein Atelier besorgen, sagte Jahnn, vielleicht sogar in der Akademie. Wir geben Anzeigen auf wegen der Modelle, laden sie alle ein und sehen sie uns an. Das wäre eine völlig radikale Art, zu schreiben, wir bleiben solange in dem Atelier, bis jeder seinen Text fertig hat, wir lassen uns Kaffee bringen und schreiben immer weiter, bis zum Ende. Laß uns sofort mit der Suche anfangen, Heimito, sagte Jahnn, vergiß den alten Beck. Ja, wenn er nicht kommt. Doderer bezahlte, sie standen auf und traten in die helle Augustsonne. Der Mensch ist ein Ungeheuer, sagte Doderer. Der Roman auch, entgegnete Jahnn, laß uns den Kampf noch einmal aufnehmen. Mußt du nach Wien? Doderer zögerte. Nächste Woche muß ich nach München, zu meiner Frau. Hast du Kinder? fragte Jahnn. Doderer schüttelte den Kopf. Wir müssen uns beeilen, wenn wir das noch schaffen wollen, was wir uns vorgenommen haben. Gibt es nicht Agenturen, die Modelle vermitteln, das ginge vielleicht schneller. Es wird nur noch die Seele des Geschlechts beschrieben, murmelte Jahnn, ohne Mittelalter und ohne Schiffbruch, es geht direkt drauflos. Aber es müssen schon außerordentlich vollkommene Körper sein, sagte Doderer, es wird Wochen, Monate dauern, sie zu finden. Keine Ausreden, Heimito, rief Jahnn, wir gehen sofort zu mir und geben die Anzeige auf. Die beiden Männer schwankten leicht, als sie sich auf den Weg machten. Ich muß mein Gepäck im Hotel abholen lassen, grunzte Doderer. Machen wir, machen wir alles, sagte Jahnn. Die Seele des Körpers, rief Doderer in die Hitze, das wird es sein!

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