Literatur zur Zeit
KONZEPTE

< home > < nr.17 > < nr.18 >

 Unsere Katze

Heiner Link †

Einmal im Kolleg habe ich einen Mann kennengelernt, das war eigentlich kein Student. Er stellte was vor, ich wußte nur nicht recht was. Ich habe nur so geschaut, und es war dann mein Ludwig. Der Mann hat alles mit Gewalt gemacht. Da mußte ich neben ihm denken, wenn ich nur auch was mit Gewalt machen könnte, deswegen hat er soviel bei mir gegolten.
Marieluise Fleißer

Ich habe unsere Katze erschossen. Sie war eigentlich ein rotweiß getigerter Kater mit einem fahrigen Charakter. Meine Fantasie war zu schwach, um ihn am Leben zu lassen. Ein altes Haus ist eben ein altes Haus, und in diesem alten Haus war es nicht einmal meiner Frau möglich zu weinen. Man könnte es an einer Hand abzählen, wie oft meine Frau in diesem Haus geweint hat. Ich machte mir keine Gedanken, ob vielleicht ich der Grund dafür gewesen sein könnte, denn sie weinte ja nicht oft. Unser Kater hieß Hugo, und ich weiß noch, wie ich dachte, ein Hubschrauber würde über unserem Haus kreisen, dabei war er es, der über einem Stück rohen Fleisch knurrte. Sowas. Einmal auch ist er einer Kundin, die ihre Übersetzung abholte, von hinten in den Faltenrock gesprungen und hat sich mit den Krallen kurz unter dem Arsch festgehakelt und ganz wild um sich geblinzelt. Ein Fall für die Haftpflichtversicherung. Er mochte eher meine Frau als mich, die war zärtlicher und hat ihre dünnen Finger nie gegen den Strich gerichtet. Er saß nur immer brav auf meinem Schoß, wenn ich schrieb. Ich schrieb einen Brief an Heribert.
Lieber Heribert,
mich frierts am Buckel, eine Decke bräuchert ich, aber das Katzenviech kauert auf meinem Schoß und schürt das schlechte Gewissen.
Daraufhin hat Heribert nie mehr etwas von sich hören lassen. Und ich kauerte in dieser Altbauwohnung in einer falschen Gemütlichkeit, die mich allerdings vor meiner Fantasie bewahrte und eben nur die schlechten Freunde bei der Stange hielt. Hans mit den schlechten Zähnen. Er musterte mich verdächtig, vor allem wegen meines Dialektes. Er war sich meiner nicht sicher, ich war ihm nicht ganz geheuer. Oft sprach er nur Englisch, das er freilich gut konnte. Die Vögel flogen in jenen Tagen wie geworfene Eisenkugeln an den Fenstern vorbei.
Ich konnte noch am besten denken, während ich die Flachsen vom Gulaschfleisch trennte. Die Wohnung in dem alten Haus hatte einen dreizehn Meter langen Gang (Flur) und war auch insgesamt so groß, daß ich sie mit billigster Auslegeware, fünf Mark den Quadratmeter, auslegte, damit sie ausgelegt war und wir auch strumpfsockert (ohne Schuhe, jedoch nicht barfuß) von einem Raum in den anderen gelangen und uns fälschlicherweise in dem Gedanken wiegen konnten, wir würden so dem Fußkäse vom Vormieter entgehen. Dann kam ein Unwetter, das ja den menschlichen Gesetzen nicht unterworfen ist. Drei Tage peitschte der Wind durch die Gegend, bis er es endlich satt hatte und allerlei unter seinen Kräften gebogen war. Auch eine ewig lange Linde, die von den Wurzeln nicht gehalten werden konnte und der Länge nach zu Boden krachte. Mit einem Fuchsschwanz sägte ich einen 3 Meter langen Seitenarm ab, den ich mit eigenen Kräften in unseren japanischen Kleinwagen hievte und schließlich in unserem Wohnzimmer aufstellte. Für den Kater. Das sollte dann ein Friedenselement sein, denn ich wußte ja nicht, was noch alles kommen würde.
Der Anruf, der Ruf nach meiner Frau, die in Marokko für einen Dolmetscheinsatz gebraucht wurde zum Beispiel. Man wollte die Route für eine Autorallye erkunden und ums Verrecken kein Wasserloch auslassen, das für eine fotogene Wasserfontäne brauchbar zu sein schien. Es wurde ja freilich eher ein Abenteuerurlaub, und sie hat dann wahrscheinlich mit einem jungen, schönen Autopiloten, der ein Testfahrer war, den Geschlechtsverkehr trainiert. Da haben sie beide schwer in die Nacht hinausgeschnauft, aber sie konnte ja vor lauter Sterneverhau und Unimoggeruch und arabischem Einfluß die Hand vor Augen nicht erkennen. Übrigens hat sich der Kater die Pfote einmal sauber verstaucht, als er vom Kletterbaum in die Tiefe sprang, einer Wohnungskatze fehlt ja jegliches Distanzgefühl.
Vier Wochen war sie also weg. Ich wußte nicht, was kommt. Ich legte abends einen Scheit Buchenholz ins Kaminfeuer und prüfte im Schein der englischen Bridgelampe, die wir noch heute haben, ob die Mischung meines Whiskys mit abgestandenem Mineralwasser stimmte. Der Kater langweilte sich und ahnte nichts von den Freuden seines Frauchens, war er doch selber kastriert und frei von Gelüsten dieser Art. Er schlich vor mir her wie eine zahme Taube auf dem Marienplatz. Mit dem starken Whisky stellte ich mir Marokko vor. Der alte Diercke Weltatlas führte Marokko auf Seite 109. Nur drei Städte waren aufgeführt: Rabat, Marrakesch und Casablanca. Wie die Farbe des Meeres vor Casablanca war, war mir wurscht, ich wollte mich nicht nach Marokko wünschen. Dann besuchte mich auch ihre beste Freundin, und ich glaube, ich hätte mich revanchieren können. Immerhin wäre die dunkelhaarig gewesen, nicht blond, und ich fragte mich, wie es wäre, an ihrer Unterlippe zu lutschen. Statt dessen jedoch schob ich ihren Arsch dreizehn Meter vor mir her, und als sie wieder weg war, holte ich eine Wolke aus dem Kleiderschrank, das musste reichen. Die Küche war ganz hinten und das Büro war ganz vorne.
Um siebzehn Uhr war jeden Tag das Tagwerk erledigt und der Anrufbeantworter wurde in Betrieb genommen und dann tat ich, wonach mir der Sinn stand. Da die Wohnung keine Badewanne hatte, ging ich oft ins Wirtshaus, um mich mit etlichen Bieren zu betäuben und irgendeine Gemeinsamkeit zu finden. Mitternachts freute sich dann der Kater, wenn die Tür aufging, und meine Besoffenheit konnte ich gar nicht so kontrollieren, daß er sich hätte streicheln lassen, wo ich doch etwas zum Streicheln hätte brauchen können. Stofftiere lagen zwar rum.
Unsere Nachbarin war eine alte Schachtel und mochte mich sehr und redete zuviel, in Abwesenheit meiner Frau sogar noch mehr als sonst. Es war ja ein Haus mit sieben Parteien, so etwas garantiert eine gewisse Übersichtlichkeit. In erster Linie schimpfte sie auf ihren Mann. Bei jeder Gelegenheit nahm sie mein handwerkliches Geschick in Anspruch, und ich dachte mir, wenn's wenigstens zwanzig Jahre jünger wär und nicht so stark geschminkt. Ich hör' Sie gar nie, sie sind so ruhig, sagte sie. Ja, wie können Sie denn Ihre Frau ins Ausland schicken, zu den Negern! Ja, um Himmels Willen, dabei wollte ich es ja nie. Der Holzeßtisch von Ikea war tatsächlich so stabil, daß man eine Frau hätte drauflegen können, wäre nochmal eine gekommen, aber um einmal etwas vorwegzunehmen, es kam keine mehr, nur noch meine eigene, die mich mit einem Gelt-jetzt-freust-dich-daß-ich-wieder-da-bin-Lächeln empfing. Dabei wollte eigentlich ich empfangen und die Taschen sollte ich ihr rauftragen und der marokkanische Staub lag in ihren Haaren, hygienisch war's nicht so ideal, ja-um-Gottes-Willen-wie-schauts-denn-hier-aus, einen Riesenhunger hatte sie auch noch mitgebracht, es waren aber nur ™lsardinen im Haus.
Oh, war ich da schwach, aber nur zwei Tage.
Am Grill steht der Chef, das Weib macht in der Küche den Kartoffelsalat, Hans hatte sich nicht einmal eingeladen, denn eine Abwechslung braucht der Mensch und man rennt ja mehrmals täglich am Telefon vorbei, bringst auch einmal deine Frau mit, und der Hans war auch ein Säufer und der Kühlschrank gerammelt voll mit Weißbier, das man gut in großen Mengen trinken kann. So war das. Und nach fünf oder sechs Halben hatte sich der Hans darauf eingeschossen, immer das Gegenteil von der meinigen Meinung zu behaupten, damit uns die Dialektik nicht unter der Hand verreckt, aber das war mir auch recht und billig. So haben wir aneinander hingeredet und die Worte zogen zum hohen rauchgeschwängerten Plafond hinauf und wuchsen zu einem grauen Haufen zusammen, daß ich mir schließlich dachte, hoffentlich kracht der nicht herunter. Die zwei Frauen freilich waren viel klüger und unterhielten sich mit weniger Energieaufwand, das war aber auch schon alles. Und der Kater saß auf Hansi's Schoß und kniff die Augen fest zusammen.
Freilich hatte der Testpilot einen schönen Schnauzbart und Haare auf der Brust und diese Camel-Locken und wie der Zufall ja so oft ins Leben hineinhaut war er auch ziemlich nett, ja er wurde immer netter, bis die Situation eintrat, daß es nur noch eine Frage der Gelegenheit war. Vier Wochen sind eine lange Zeit - noch dazu - und die paar ausgemergelten Negerweiber, denen der Abenteuertroß begegnete, ließen meine Frau in den Augen der Abenteuermänner immer schöner erstrahlen, und schließlich war sie noch jung und fest und sauber und blond. Unkompliziert wird's nicht gewesen sein, auch andere hatten jeweils ihr Auge schon geworfen, da müssen die Augen geradezu hin- und hergeflogen sein, das kann man sich schon vorstellen, aber meine Frau hatte immer schon einen eigenen Geschmack, und er schien ihr doch der Schönste zu sein, und die anderen waren ja zum Teil nicht mehr jung und hatten gleich gar keine Athletik aufzuweisen, höchstens einen Schmerbauch, und sie brausten auch nicht so spektakulär durch die Wasserlöcher hindurch. Spektakulär. Lär.
Der Kater kannte meine Späße schon, durchs Zimmer werfen und so, und es hat ihm nicht immer gefallen, in der Zeit, als meine Frau nicht da war vielleicht sogar noch weniger. Einmal jedenfalls fand ich den Kater zwei Tage nicht, sogar ein Pfund blutendes Rindfleisch legte ich aus, bis es zu stinken anfing. Da waren dann die Abende lang und ein Beil ist mir ins Hirn gefallen und die Kerbe schmerzte sehr. Kinder, wenn ich gehabt hätte, hätte ich geschlagen, das heißt, ich hätte sie schlagen mögen, ich meine, ich hätte das Gefühl gehabt, daß sie mal wieder eine Tracht Prügel verdient hätten, beziehungsweise angedroht hätte ich die Prügel bestimmt, sowas kann man ja auch mit einem Augenzwinkern. Lange hab ich die Zeitung gelesen auf dem Scheißhaus, bis mir die Beine abgestorben sind, weil die Klobrille dünn und hart die Blutzufuhr unterbrach. Da bog der Kater um die Ecke ins Klo herein, als ich mich gerade zitternd erhob und ein Brennen an meinen Beinen hinunterlief. Er fraß mit Heißhunger alles, was ich ihm hinstellte, ich kam mit dem Dosenöffnen kaum nach und freute mich recht sakrisch. Bis heute weiß ich nicht, wo der gewesen war. Dings.
Der Hans kam vorbei, wenn er Zeit hatte, ich war ja Strohwitwer, und erklärte mir die Taktik des 1. FC Nürnberg, sowie die südamerikanische Literatur und insbesondere auch, wie das mit dem Tennisspielen geht und was ich da alles falsch machte. Und hintendrauf noch das Genre Krminalliteratur. Ausserdem hatte er einmal einen Unfall gehabt und konnte auf einem Auge praktisch nichts mehr sehen. Aber ich war nicht gescheit genug und das wußte er damals noch nicht und machte sich die ganze Mühe ganz umsonst, und dann hab ich ihm doch einen Brief geschrieben, obwohl ich kein guter Briefschreiber bin, ein jeder Empfänger war bisher noch beleidigt,
lieber Hans,
hab ich geschrieben, hab ich mir gedenkt, daß ich's dir schreib, weil sagen kann man dir ja nichts, das ist wie in ein leeres Zimmer hineinreden. Also, ich bin halt nicht so gescheit, daß ich auch den Chandler versteh, und die Südamerikaner haben bestimmt eine blumige Sprache, und das Tennis ist mir zu taktisch. Die Sportschau kann ich nicht anschauen, weil alles nur noch schwarzweiß geht, da kann ich ja niemanden auseinanderkennen, verstehst, meine Frau ist zwar in Marroko, bei den Negern, aber mein Bier ist mir auch selber heilig, und du hast so schlechte Zähn, entschuldigung, und daß'd auf einem Aug nix mehr siechst, das tut mir schon leid, das mit dem Unfall, aber verstanden hab ich das nicht, daß'd mir beim Billardspielen wegen der Chancengleichheit eine Augenbinde anglegt hast, obwohl ich das linke Auge ja beim Stossen sowieso immer zumache, obwohl: hab ich immerhin wie ein Indianer ausgschaut und mir denkt, dann lass'd'n halt g'winnen. Was wollt ich jetzt gleich noch sagen, ja, leck mich am Arsch und grüß mir deine Frau.
Und das war's dann und seitdem ist er nicht mehr gekommen und ich hab den letzten Freund auch noch verloren, ja.
Und in einer dieser Nächte hatte ich wieder diesen Traum von der Frau, die auf einem Hügel steht. Die mir immer so winkt, daß ich herkommen soll, aber ich konnte nur schwitzen und morgens klebte mir die Zunge am Gaumen wie angenagelt. Schon früh am morgen eine solche Kraftanstrengung. Das Zimmer war zu hell und zu hoch. Über mir wohnte ein Schauspieler, ein junger, für den sich die Frauen umdrehten und ihre Vorsätze zu vergessen jederzeit bereit waren. Aber er war ein Mimoserl und konnte nicht einmal meinen geschwächten Blicken standhalten. Und dieser Mann drehte mit Claudia Cardinale. Wos is? Pack ma a Schnapserl? Einem solchen Mann können sie so nicht kommen. Ich war auch nicht in seiner Kaste, denn er war ein Schauspieler. Er ist auch nur in der Wohnung gestanden und hat seine Gase verströmt, und da hab ich ihn wieder hinaufgeschickt, und die Nachbarin hat ihn draußen auf dem Gang abgefangen: Man hört Sie nie, Sie sind ja so leise.
In meiner ganzen Verzweiflung rief ich den Bimmer Fonse an. Fonse! Oide Zwiderwurzn! Schau halt amoi vorbei, der Kühlschrank ist grammelt voll mit Weißbier, aber der Bimmer Fonse hatte eine schlechte Leber, sogar den Westenrieder Ossi kontaktierte ich, Ossi, altes Scheißhaus, wie schaut's aus mit einer Halbe im Pippinger Hof, aber keiner hatte eine Zeit und meine Frau war erst zwei Wochen weg und das Wetter wurde auch immer schöner. Ich bin dann in den Nymphenburger Schloßpark gegangen und habe mich von Schwänen umzingeln lassen. Eine Gartenpflege war da schon zu erkennen, Prosperität an allen Fronten und das Spazierengehen hat mir richtig gut getan. Kam glatt ein flaschengrünes Bankerl vorbei, mit einem Messingschildchen, auf dem stand, wer das Bankerl finanziert hat, und lud mich zum Draufsetzen ein. Eine Frau saß auch drauf und hatte die Beine schön gekreuzt und ihre Sinne in einem Büchlein vertieft. Die war schön anzuschauen, so eine feine Linie von den Ohren zu den Schultern hinunter und eine holzfarbene Haut und so schöne, schlanke Finger. Lippen wie eine Ottomane. Und da war ich schon fast wieder mit der Welt versöhnt, bis dann ein Gewitter aufzog und die schöne Frau davoneilte, und ich wurde drecknass und bin ausgerutscht, auf einer Illustrierten, wahrscheinlich direkt auf Prinz Charles.
Und das Geschäft ging auch so schlecht, manchmal den ganzen Tag keinen Anruf, und ich saß da und sah hinaus, sah die Leute zum Romanplatz voreilen oder ins nahegelegene Krankenhaus hineinhinken oder gar unachtsam die Autotüren aufwerfen. Da konnte es dann schon vorkommen, daß ich eine Stunde in ein Koma fiel, und danach plagte mich ein Kreuzweh. Man kann zum Beispiel aus diesem Küchenaluminium so kleine Kügerl basteln, was ich auch tat, aber der Kater apportierte nie, immer trieb er das Kügelchen so lange durch die Wohnung, bis es unerreichbar unter einem Schrank verschwand und ich ein Neues basteln mußte.
Leibesübungen können manchmal helfen. Ich nahm mir vor, jeden Tag 50 Liegestütze und 50 Klappmesser zu machen. Aber das ging nicht. Das ist jetzt schlecht, dachte ich bei mir, wenn ich schon mal eine Hilfe bräuchte, und schaltete den Fernseher an. Und da kam die Katz und wollte eine Zärtlichkeit. Katz verschwind, sagte ich, ich bin gar nicht gut beieinander, und es könnte sein, daß ich meinen Revolver hol, eine 08 von meinem Großvater, ich möcht ja nicht wissen, wie der an eine 08 gekommen ist, aber die Katz fing an zu schnurren, da hab ich sie halt nicht erschossen.
Ich war aber nah dran.

< top >