Unsere Katze
Heiner Link † |
Einmal im Kolleg habe ich einen Mann kennengelernt, das war eigentlich
kein Student. Er stellte was vor, ich wußte nur nicht recht was.
Ich habe nur so geschaut, und es war dann mein Ludwig. Der Mann
hat alles mit Gewalt gemacht. Da mußte ich neben ihm denken, wenn
ich nur auch was mit Gewalt machen könnte, deswegen hat er soviel
bei mir gegolten.
Marieluise Fleißer
Ich habe unsere Katze erschossen. Sie war eigentlich ein rotweiß
getigerter Kater mit einem fahrigen Charakter. Meine Fantasie
war zu schwach, um ihn am Leben zu lassen. Ein altes Haus ist
eben ein altes Haus, und in diesem alten Haus war es nicht einmal
meiner Frau möglich zu weinen. Man könnte es an einer Hand abzählen,
wie oft meine Frau in diesem Haus geweint hat. Ich machte mir
keine Gedanken, ob vielleicht ich der Grund dafür gewesen sein
könnte, denn sie weinte ja nicht oft. Unser Kater hieß Hugo, und
ich weiß noch, wie ich dachte, ein Hubschrauber würde über unserem
Haus kreisen, dabei war er es, der über einem Stück rohen Fleisch
knurrte. Sowas. Einmal auch ist er einer Kundin, die ihre Übersetzung
abholte, von hinten in den Faltenrock gesprungen und hat sich
mit den Krallen kurz unter dem Arsch festgehakelt und ganz wild
um sich geblinzelt. Ein Fall für die Haftpflichtversicherung.
Er mochte eher meine Frau als mich, die war zärtlicher und hat
ihre dünnen Finger nie gegen den Strich gerichtet. Er saß nur
immer brav auf meinem Schoß, wenn ich schrieb. Ich schrieb einen
Brief an Heribert.
Lieber Heribert,
mich frierts am Buckel, eine Decke bräuchert ich, aber das Katzenviech
kauert auf meinem Schoß und schürt das schlechte Gewissen.
Daraufhin hat Heribert nie mehr etwas von sich hören lassen. Und
ich kauerte in dieser Altbauwohnung in einer falschen Gemütlichkeit,
die mich allerdings vor meiner Fantasie bewahrte und eben nur
die schlechten Freunde bei der Stange hielt. Hans mit den schlechten
Zähnen. Er musterte mich verdächtig, vor allem wegen meines Dialektes.
Er war sich meiner nicht sicher, ich war ihm nicht ganz geheuer.
Oft sprach er nur Englisch, das er freilich gut konnte. Die Vögel
flogen in jenen Tagen wie geworfene Eisenkugeln an den Fenstern
vorbei.
Ich konnte noch am besten denken, während ich die Flachsen vom
Gulaschfleisch trennte. Die Wohnung in dem alten Haus hatte einen
dreizehn Meter langen Gang (Flur) und war auch insgesamt so groß,
daß ich sie mit billigster Auslegeware, fünf Mark den Quadratmeter,
auslegte, damit sie ausgelegt war und wir auch strumpfsockert
(ohne Schuhe, jedoch nicht barfuß) von einem Raum in den anderen
gelangen und uns fälschlicherweise in dem Gedanken wiegen konnten,
wir würden so dem Fußkäse vom Vormieter entgehen. Dann kam ein
Unwetter, das ja den menschlichen Gesetzen nicht unterworfen ist.
Drei Tage peitschte der Wind durch die Gegend, bis er es endlich
satt hatte und allerlei unter seinen Kräften gebogen war. Auch
eine ewig lange Linde, die von den Wurzeln nicht gehalten werden
konnte und der Länge nach zu Boden krachte. Mit einem Fuchsschwanz
sägte ich einen 3 Meter langen Seitenarm ab, den ich mit eigenen
Kräften in unseren japanischen Kleinwagen hievte und schließlich
in unserem Wohnzimmer aufstellte. Für den Kater. Das sollte dann
ein Friedenselement sein, denn ich wußte ja nicht, was noch alles
kommen würde.
Der Anruf, der Ruf nach meiner Frau, die in Marokko für einen
Dolmetscheinsatz gebraucht wurde zum Beispiel. Man wollte die
Route für eine Autorallye erkunden und ums Verrecken kein Wasserloch
auslassen, das für eine fotogene Wasserfontäne brauchbar zu sein
schien. Es wurde ja freilich eher ein Abenteuerurlaub, und sie
hat dann wahrscheinlich mit einem jungen, schönen Autopiloten,
der ein Testfahrer war, den Geschlechtsverkehr trainiert. Da haben
sie beide schwer in die Nacht hinausgeschnauft, aber sie konnte
ja vor lauter Sterneverhau und Unimoggeruch und arabischem Einfluß
die Hand vor Augen nicht erkennen. Übrigens hat sich der Kater
die Pfote einmal sauber verstaucht, als er vom Kletterbaum in
die Tiefe sprang, einer Wohnungskatze fehlt ja jegliches Distanzgefühl.
Vier Wochen war sie also weg. Ich wußte nicht, was kommt. Ich
legte abends einen Scheit Buchenholz ins Kaminfeuer und prüfte
im Schein der englischen Bridgelampe, die wir noch heute haben,
ob die Mischung meines Whiskys mit abgestandenem Mineralwasser
stimmte. Der Kater langweilte sich und ahnte nichts von den Freuden
seines Frauchens, war er doch selber kastriert und frei von Gelüsten
dieser Art. Er schlich vor mir her wie eine zahme Taube auf dem
Marienplatz. Mit dem starken Whisky stellte ich mir Marokko vor.
Der alte Diercke Weltatlas führte Marokko auf Seite 109. Nur drei
Städte waren aufgeführt: Rabat, Marrakesch und Casablanca. Wie
die Farbe des Meeres vor Casablanca war, war mir wurscht, ich
wollte mich nicht nach Marokko wünschen. Dann besuchte mich auch
ihre beste Freundin, und ich glaube, ich hätte mich revanchieren
können. Immerhin wäre die dunkelhaarig gewesen, nicht blond, und
ich fragte mich, wie es wäre, an ihrer Unterlippe zu lutschen.
Statt dessen jedoch schob ich ihren Arsch dreizehn Meter vor mir
her, und als sie wieder weg war, holte ich eine Wolke aus dem
Kleiderschrank, das musste reichen. Die Küche war ganz hinten
und das Büro war ganz vorne.
Um siebzehn Uhr war jeden Tag das Tagwerk erledigt und der Anrufbeantworter
wurde in Betrieb genommen und dann tat ich, wonach mir der Sinn
stand. Da die Wohnung keine Badewanne hatte, ging ich oft ins
Wirtshaus, um mich mit etlichen Bieren zu betäuben und irgendeine
Gemeinsamkeit zu finden. Mitternachts freute sich dann der Kater,
wenn die Tür aufging, und meine Besoffenheit konnte ich gar nicht
so kontrollieren, daß er sich hätte streicheln lassen, wo ich
doch etwas zum Streicheln hätte brauchen können. Stofftiere lagen
zwar rum.
Unsere Nachbarin war eine alte Schachtel und mochte mich sehr
und redete zuviel, in Abwesenheit meiner Frau sogar noch mehr
als sonst. Es war ja ein Haus mit sieben Parteien, so etwas garantiert
eine gewisse Übersichtlichkeit. In erster Linie schimpfte sie
auf ihren Mann. Bei jeder Gelegenheit nahm sie mein handwerkliches
Geschick in Anspruch, und ich dachte mir, wenn's wenigstens zwanzig
Jahre jünger wär und nicht so stark geschminkt. Ich hör' Sie gar
nie, sie sind so ruhig, sagte sie. Ja, wie können Sie denn Ihre
Frau ins Ausland schicken, zu den Negern! Ja, um Himmels Willen,
dabei wollte ich es ja nie. Der Holzeßtisch von Ikea war tatsächlich
so stabil, daß man eine Frau hätte drauflegen können, wäre nochmal
eine gekommen, aber um einmal etwas vorwegzunehmen, es kam keine
mehr, nur noch meine eigene, die mich mit einem Gelt-jetzt-freust-dich-daß-ich-wieder-da-bin-Lächeln
empfing. Dabei wollte eigentlich ich empfangen und die Taschen
sollte ich ihr rauftragen und der marokkanische Staub lag in ihren
Haaren, hygienisch war's nicht so ideal, ja-um-Gottes-Willen-wie-schauts-denn-hier-aus,
einen Riesenhunger hatte sie auch noch mitgebracht, es waren aber
nur lsardinen im Haus.
Oh, war ich da schwach, aber nur zwei Tage.
Am Grill steht der Chef, das Weib macht in der Küche den Kartoffelsalat,
Hans hatte sich nicht einmal eingeladen, denn eine Abwechslung
braucht der Mensch und man rennt ja mehrmals täglich am Telefon
vorbei, bringst auch einmal deine Frau mit, und der Hans war auch
ein Säufer und der Kühlschrank gerammelt voll mit Weißbier, das
man gut in großen Mengen trinken kann. So war das. Und nach fünf
oder sechs Halben hatte sich der Hans darauf eingeschossen, immer
das Gegenteil von der meinigen Meinung zu behaupten, damit uns
die Dialektik nicht unter der Hand verreckt, aber das war mir
auch recht und billig. So haben wir aneinander hingeredet und
die Worte zogen zum hohen rauchgeschwängerten Plafond hinauf und
wuchsen zu einem grauen Haufen zusammen, daß ich mir schließlich
dachte, hoffentlich kracht der nicht herunter. Die zwei Frauen
freilich waren viel klüger und unterhielten sich mit weniger Energieaufwand,
das war aber auch schon alles. Und der Kater saß auf Hansi's Schoß
und kniff die Augen fest zusammen.
Freilich hatte der Testpilot einen schönen Schnauzbart und Haare
auf der Brust und diese Camel-Locken und wie der Zufall ja so
oft ins Leben hineinhaut war er auch ziemlich nett, ja er wurde
immer netter, bis die Situation eintrat, daß es nur noch eine
Frage der Gelegenheit war. Vier Wochen sind eine lange Zeit -
noch dazu - und die paar ausgemergelten Negerweiber, denen der
Abenteuertroß begegnete, ließen meine Frau in den Augen der Abenteuermänner
immer schöner erstrahlen, und schließlich war sie noch jung und
fest und sauber und blond. Unkompliziert wird's nicht gewesen
sein, auch andere hatten jeweils ihr Auge schon geworfen, da müssen
die Augen geradezu hin- und hergeflogen sein, das kann man sich
schon vorstellen, aber meine Frau hatte immer schon einen eigenen
Geschmack, und er schien ihr doch der Schönste zu sein, und die
anderen waren ja zum Teil nicht mehr jung und hatten gleich gar
keine Athletik aufzuweisen, höchstens einen Schmerbauch, und sie
brausten auch nicht so spektakulär durch die Wasserlöcher hindurch.
Spektakulär. Lär.
Der Kater kannte meine Späße schon, durchs Zimmer werfen und so,
und es hat ihm nicht immer gefallen, in der Zeit, als meine Frau
nicht da war vielleicht sogar noch weniger. Einmal jedenfalls
fand ich den Kater zwei Tage nicht, sogar ein Pfund blutendes
Rindfleisch legte ich aus, bis es zu stinken anfing. Da waren
dann die Abende lang und ein Beil ist mir ins Hirn gefallen und
die Kerbe schmerzte sehr. Kinder, wenn ich gehabt hätte, hätte
ich geschlagen, das heißt, ich hätte sie schlagen mögen, ich meine,
ich hätte das Gefühl gehabt, daß sie mal wieder eine Tracht Prügel
verdient hätten, beziehungsweise angedroht hätte ich die Prügel
bestimmt, sowas kann man ja auch mit einem Augenzwinkern. Lange
hab ich die Zeitung gelesen auf dem Scheißhaus, bis mir die Beine
abgestorben sind, weil die Klobrille dünn und hart die Blutzufuhr
unterbrach. Da bog der Kater um die Ecke ins Klo herein, als ich
mich gerade zitternd erhob und ein Brennen an meinen Beinen hinunterlief.
Er fraß mit Heißhunger alles, was ich ihm hinstellte, ich kam
mit dem Dosenöffnen kaum nach und freute mich recht sakrisch.
Bis heute weiß ich nicht, wo der gewesen war. Dings.
Der Hans kam vorbei, wenn er Zeit hatte, ich war ja Strohwitwer,
und erklärte mir die Taktik des 1. FC Nürnberg, sowie die südamerikanische
Literatur und insbesondere auch, wie das mit dem Tennisspielen
geht und was ich da alles falsch machte. Und hintendrauf noch
das Genre Krminalliteratur. Ausserdem hatte er einmal einen Unfall
gehabt und konnte auf einem Auge praktisch nichts mehr sehen.
Aber ich war nicht gescheit genug und das wußte er damals noch
nicht und machte sich die ganze Mühe ganz umsonst, und dann hab
ich ihm doch einen Brief geschrieben, obwohl ich kein guter Briefschreiber
bin, ein jeder Empfänger war bisher noch beleidigt,
lieber Hans,
hab ich geschrieben, hab ich mir gedenkt, daß ich's dir schreib,
weil sagen kann man dir ja nichts, das ist wie in ein leeres Zimmer
hineinreden. Also, ich bin halt nicht so gescheit, daß ich auch
den Chandler versteh, und die Südamerikaner haben bestimmt eine
blumige Sprache, und das Tennis ist mir zu taktisch. Die Sportschau
kann ich nicht anschauen, weil alles nur noch schwarzweiß geht,
da kann ich ja niemanden auseinanderkennen, verstehst, meine Frau
ist zwar in Marroko, bei den Negern, aber mein Bier ist mir auch
selber heilig, und du hast so schlechte Zähn, entschuldigung,
und daß'd auf einem Aug nix mehr siechst, das tut mir schon leid,
das mit dem Unfall, aber verstanden hab ich das nicht, daß'd mir
beim Billardspielen wegen der Chancengleichheit eine Augenbinde
anglegt hast, obwohl ich das linke Auge ja beim Stossen sowieso
immer zumache, obwohl: hab ich immerhin wie ein Indianer ausgschaut
und mir denkt, dann lass'd'n halt g'winnen. Was wollt ich jetzt
gleich noch sagen, ja, leck mich am Arsch und grüß mir deine Frau.
Und das war's dann und seitdem ist er nicht mehr gekommen und
ich hab den letzten Freund auch noch verloren, ja.
Und in einer dieser Nächte hatte ich wieder diesen Traum von der
Frau, die auf einem Hügel steht. Die mir immer so winkt, daß ich
herkommen soll, aber ich konnte nur schwitzen und morgens klebte
mir die Zunge am Gaumen wie angenagelt. Schon früh am morgen eine
solche Kraftanstrengung. Das Zimmer war zu hell und zu hoch. Über
mir wohnte ein Schauspieler, ein junger, für den sich die Frauen
umdrehten und ihre Vorsätze zu vergessen jederzeit bereit waren.
Aber er war ein Mimoserl und konnte nicht einmal meinen geschwächten
Blicken standhalten. Und dieser Mann drehte mit Claudia Cardinale.
Wos is? Pack ma a Schnapserl? Einem solchen Mann können sie so
nicht kommen. Ich war auch nicht in seiner Kaste, denn er war
ein Schauspieler. Er ist auch nur in der Wohnung gestanden und
hat seine Gase verströmt, und da hab ich ihn wieder hinaufgeschickt,
und die Nachbarin hat ihn draußen auf dem Gang abgefangen: Man
hört Sie nie, Sie sind ja so leise.
In meiner ganzen Verzweiflung rief ich den Bimmer Fonse an. Fonse!
Oide Zwiderwurzn! Schau halt amoi vorbei, der Kühlschrank ist
grammelt voll mit Weißbier, aber der Bimmer Fonse hatte eine schlechte
Leber, sogar den Westenrieder Ossi kontaktierte ich, Ossi, altes
Scheißhaus, wie schaut's aus mit einer Halbe im Pippinger Hof,
aber keiner hatte eine Zeit und meine Frau war erst zwei Wochen
weg und das Wetter wurde auch immer schöner. Ich bin dann in den
Nymphenburger Schloßpark gegangen und habe mich von Schwänen umzingeln
lassen. Eine Gartenpflege war da schon zu erkennen, Prosperität
an allen Fronten und das Spazierengehen hat mir richtig gut getan.
Kam glatt ein flaschengrünes Bankerl vorbei, mit einem Messingschildchen,
auf dem stand, wer das Bankerl finanziert hat, und lud mich zum
Draufsetzen ein. Eine Frau saß auch drauf und hatte die Beine
schön gekreuzt und ihre Sinne in einem Büchlein vertieft. Die
war schön anzuschauen, so eine feine Linie von den Ohren zu den
Schultern hinunter und eine holzfarbene Haut und so schöne, schlanke
Finger. Lippen wie eine Ottomane. Und da war ich schon fast wieder
mit der Welt versöhnt, bis dann ein Gewitter aufzog und die schöne
Frau davoneilte, und ich wurde drecknass und bin ausgerutscht,
auf einer Illustrierten, wahrscheinlich direkt auf Prinz Charles.
Und das Geschäft ging auch so schlecht, manchmal den ganzen Tag
keinen Anruf, und ich saß da und sah hinaus, sah die Leute zum
Romanplatz voreilen oder ins nahegelegene Krankenhaus hineinhinken
oder gar unachtsam die Autotüren aufwerfen. Da konnte es dann
schon vorkommen, daß ich eine Stunde in ein Koma fiel, und danach
plagte mich ein Kreuzweh. Man kann zum Beispiel aus diesem Küchenaluminium
so kleine Kügerl basteln, was ich auch tat, aber der Kater apportierte
nie, immer trieb er das Kügelchen so lange durch die Wohnung,
bis es unerreichbar unter einem Schrank verschwand und ich ein
Neues basteln mußte.
Leibesübungen können manchmal helfen. Ich nahm mir vor, jeden
Tag 50 Liegestütze und 50 Klappmesser zu machen. Aber das ging
nicht. Das ist jetzt schlecht, dachte ich bei mir, wenn ich schon
mal eine Hilfe bräuchte, und schaltete den Fernseher an. Und da
kam die Katz und wollte eine Zärtlichkeit. Katz verschwind, sagte
ich, ich bin gar nicht gut beieinander, und es könnte sein, daß
ich meinen Revolver hol, eine 08 von meinem Großvater, ich möcht
ja nicht wissen, wie der an eine 08 gekommen ist, aber die Katz
fing an zu schnurren, da hab ich sie halt nicht erschossen.
Ich war aber nah dran. |