Die AfD blinkt links, der PEN Berlin schon mal rechts

Die Autorenvereinigung PEN Berlin hat sich mit der Stimme ihres Sprechers Deniz Yücel in einer Erklärung besorgt gezeigt, dass polizeilich geführte Ermittlungen gegen sogenannte Hasskriminalität übereifrig ausgeführt würden und der Meinungsfreiheit schadeten. Dies geschah unter der Überschrift, auch Hass könne eine zulässige Meinung sein. Man mag den peinlichen Kategorienfehler vielleicht noch verziehen, denn Hass ist so wenig eine Meinung wie eine Brombeere ein Gebäck ist. Eine Meinung ist ein aufgrund von unvollständigen oder ausgesuchten Fakten zustande gekommenes Urteil über einen meist komplexen Gegenstand. Sie ist aber immer begründbar, wenn man zum Beispiel an divergierende Meinungen von jungen und alten Menschen unter Corona denkt. Interessenkonflikte führen zu verschiedenen Meinungen, mit deren Formulierung man den Konflikt zu lösen versuchen kann. Hass dagegen gehört zu den irrationalen Regungen, zu denen auch Eifersucht, Wut, Panik oder manche Form des Begehrens zählen, die allesamt gerne im Exzess enden. Schon die Gleichsetzung eines auf Zerstörung angelegten Gefühls, das Argumente nicht zulässt und einen Ausgleich ausschließt, mit einer diskutablen Meinung ist aus dem Mund des Sprechers einer Schriftstellervereinigung mit dem Ziel, die Meinungsfreiheit zu schützen, verblüffend. Aber im zweiten Moment ist sie noch mehr, denn sie kommt nicht zu einem zufälligen Zeitpunkt.

Dass auch in Deutschland für Rechtsradikale die Macht eine echte Option ist, ist spätestens klar, seit der Verleger Götz Kubitschek unter der Scheinmoderation seiner Frau Ellen Kositza im Kanal Schnellroda seinen Autor Maximilian Krah dazu befragte, ob sich dieser neuerdings der Fließrichtung anpasse. Die “Zeit” berichtete prominent von dem offenbar nicht einmal fingierten Schlagabtausch. Krah hat als Abgeordneter der AfD einen Sitz im Europäischen Parlament, und sagte erstaunlicherweise, dass die moderne Gesellschaft ein Produkt der Evolution sei und Remigration, wie sie bislang von seiner Partei gedacht werde, bekämpfen würde. Und zwar mit allem was sie habe. Bewegt sich die AfD nun also in Richtung Rechtsstaat, just in jenem Moment, in dem bedeutende Teile der Union daran arbeiten, die sogenannte Brandmauer zu perforieren wie einst die ersten alpha-Teilchen im Rutherfordschen Versuch eine Goldfolie? Das scheint so zu sein, denn die neuen Benimmregeln, die die Bundestagsfraktion der AfD sich auferlegt hat, weisen in dieselbe Richtung. Man muss kein Kaffeesatzleser sein, um hier die Wirkung des Verfassungschutzberichtes bei der Arbeit zu erkennen. Krah hat bei Kubitschek dessen Sinn und Bedeutung so klar ausgesprochen, dass er ihn auch gleich hätte nennen können.

Ein Parteiverbot, das nun immer mehr Politiker zu fordern sich trauen, sieht unser Grundgesetz grundsätzlich vor. Und der Artikel steht da nicht, weil noch Platz war, wie Marcus Bensmann von Correctiv gerne sagt. Er steht da, weil die Erfahrung, und insbesondere die deutsche Erfahrung lehrt, dass ein säkularer Staat seine eigenen Voraussetzungen nicht garantieren kann. Mit anderen, ungeschminkten Worten: auch der liberale Verfassungsstaat verdankt sich einem Gewaltakt. Dieser muss nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch und sogar stets aufs Neue verübt werden, damit der Staat intakt bleibt. Ich habe das kürzlich meinem Sohn erklärt, nachdem ihm auf der Toilette der neuen Schule ein Messer an die Kehle gehalten worden war. Nur zum Spaß natürlich, wie der Täter hinterher behauptete. Die Polizei stimmte nicht zu. Mein Sohn musste sehr detailliert schildern, wie die Bewegung und was die Worte des Täters waren.

Mir war wichtig, dass er das lernt: Wir verteidigen uns höchstens bei momentaner Gefahr selbst, ansonsten machen das Polizei und Gerichte für uns. Es handelt sich dabei um einen sehr ehrenwerten Aushandlungsprozess, deren abstrakte Formulierung genauso eine Glanzleistung ist wie die Tatsache, dass die allermeisten Bürger seine Existenz tatsächlich verinnerlicht und akzeptiert haben. Denn er ist sehr zerbrechlich. Und derzeit ist er weltweit – oder besser gesagt ist er neuerdings westweit unter Druck, und zwar vom Donez bis zum Potomac.

Umso erstaunlicher sind die einsichtigen Erklärungen Krahs im Kanal Schnellroda zu diesem Prozess und der gleichzeitige Versuch seiner Unterminierung durch Yücel. Man könnte fast auf die Idee kommen, eher mit Krah über den Zusammenhang von Nationalismus, Männlichkeit und moderner Gesellschaft zu fachsimpeln, vor allem wenn man die wirren Bücher eines Jack Donovan zur Männlichkeit kennt, die Kubitschek verlegt. Vermutlich ergäbe das auch nicht viel mehr, als ein Gespräch mit Alice Schwarzer zum selben Thema. Aber festzuhalten ist, dass das drohende Parteiverbotsverfahren Wirkung zeigt und man hoffen kann, dass ein Zivilisierungsprozess möglich ist. Hier plädiere ich unbedingt für Geduld und Offenheit, wenngleich mir aktuelle Umfragen durchaus Angst machen. Aber Respekt für Personen, solange wie möglich, und bessere Argumente gegen ihre falschen Positionen muss die Regel in der Demokratie sein. Ein Parteiverbotsverfahren, dass schon in seiner Diskussion erfolgreich ist, unterstütze ich natürlich weiterhin, schon weil es die richtigen Argumente des Interessenausgleiches provoziert.

Das Gewaltmonopol des Staates genau jetzt in Frage zu stellen ist extrem kontraproduktiv, und schon gar nicht Aufgabe einer Schriftstellervereinigung.  Aber das macht Yücel in der Erklärung zweifellos. Er bedient sich dabei pikanterweise genau der Technik, die die Rechtsradikalen selbst jahrelang erfolgreich benutzten. Nach der Lektüre des ganzen Artikels hat man den seltsamen Eindruck, Millionen Hasskommentare seien harmlos im Vergleich zu den Einschränkungen und der Drohkulisse der deutschen Polizei, die an einem Aktionstag stichprobenartige Hausdurchsuchungen durchgeführt habe. Dieses Vorgehen sei “charakteristisch für autoritäre Regime, aber eines Rechtsstaates unwürdig”, so Yücel in atemberaubender Überheblichkeit: Danach wären nicht die Rechtsradikalen, nicht die Irrationalen, die Bullies, Drohungen und Ankündigungen von Gewalt im Netz, die einschüchtern und abschrecken, sondern der deutsche Staat, wenn er mal was dagegen setzt. Das ist zentrales AfD-Gewäsch, sorry.

Um welche Durchsuchungen ging es überhaupt genau? Wer hat gegen eine erfolgreich geklagt, wem ist geschadet worden? Wo beginnt Verleumdung? Und was, wenn bei der Durchsuchung einer Wohnung, aus der heraus einschlägige Hasspostings geschrieben worden sind, Waffen und Sprengstoff gefunden werden, neben dem Grundriss eines Bahnhofs oder Flughafens? Was sagen die Angehörigen der Opfer, wenn es ein Attentat gibt und dann bekannt wird, der Täter hat schon ewig ankündigt, was er dann ausführte? Und was, wenn es sich um einen harmlosen Alkoholiker handelt? Dann ist halt nichts passiert, die Beamten veraschieden sich sachlich oder sogar höflich und schreiben ihren Bericht: There is no glory in prevention. Tatsächlich handelte es sich aber zum Beispiel um eine Hausdurchsuchung bei einem Youtuber, der einen Beitrag mit dem Titel „Bist du Jude? Wenn ja, ruft Auschwitz“ veröffentlicht haben soll, wie Correctiv berichtet. Den Mann mit richterlichem Auftrag mal zu besuchen ist also “charakteristisch für autoritäre Regime, aber eines Rechtsstaates unwürdig” – im Ernst?

Nein, jede mündige Bürgerin muss in einer allgemeinen Verkehrskontrolle ihren Führerschein zeigen und macht das genau so klaglos, wie sich jeder mündige Bürger vor dem Besteigen eines Flugzeugs durchleuchten lässt. Es dient der Sicherheit aller. Die ganze Sache Aktionstag zu nennen ist spektakulär misslungen, vor allem wenn man bedenkt, dass kein Staat und keine Staatengemeinschaft einen Besitzer einer Medienplattform dazu zwingt, als Hausherr für Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Aber diese misslungene Bezeichnung ist nichts gegen die Behauptung eines PEN Sprechers, Hass sei mitunter eine zu tolerierende Meinung.

Wer Hass abbekommt, macht die historisch wahrlich nicht neue Erfahrung, dass der Gegner ihn dir nur zu erklären braucht. Du wirst nicht wie bei der Liebe auf Knien gefragt, ob du annehmen willst. Liebe ist verletzlich, Respekt erfordert noch Charakter. Der Hassende spuckt dir von oben ins Gesicht, er will nur verletzen und wird das oft auch tun. Wer das erfährt, weiß den Rechtsstaat zu schätzen und hat für jene, die ihn um einer vulgären Freiheit willen bekämpfen, wenig übrig. Gerade, wem an einer Überwindung der affektiven Polarisierung gelegen ist, die wie ein kultureller Klimawandel mühsam errungene zivilisatorische Errungenschaften von Minderheiten in Stürmen zu vernichten droht, sollte Rechtsstaatlichkeit schützen. Sie zu verhöhnen, ist genau falsch.

© Ralf Bönt