Titelkampf

Im Spiel um Platz drei treffen wir auf Ungarn. Der Stadionsprecher spielt den Kommentar von 54 ein. Die Ungarn sind müde, aber Rinke gibt uns den Klose, drei Neunzigprozentige in zehn Minuten, und das erste Tor kann Ostermaier wieder nicht verhindern. In der zweiten Hälfte gelingt Rinke endlich ein glücklicher Treffer und Ostermaier kann sich auszeichnen. Als ich die Schuhe für das Elfmeterschießen schon wieder anhabe, macht Rinke noch ein ansehnliches Ding. Dritter! Nur gegen die Schweden verloren, gegen diese Schweden und so.

Das Endspiel gerät zum sportlichen Höhepunkt, Italien führt mit lautstarker deutscher Unterstützung 2:0, verliert 2:4 und hadert mit der Kunst des Fluches. Wir erhalten unsere Trophäe aus der Hand von Patrick Andersson.

Abends sehen wir uns einen Film mit den besten Szenen der letzten drei Tage an und können herzlich über uns lachen. Beim Abschlussempfang bietet Ekelund mir an, bald einige Regularien für die nächsten Turniere zu fixieren. Der Urlaub ist vorbei, die Welt wartet auf keine einfache Zustimmung.

Mit Beiträgen von Ralf Bönt, Jorge Valdano, Albert Ostermaier, Michael Lentz, Friedrich Ani, Jörg Schieke, Jan Böttcher, Thomas Klupp, Michael Levitin, Christoph Nußbaumeder, Klaus Cäsar Zehrer, Jan Brandt, Andreas Merkel, Uli Hannemann, Klaus Döring, Sönke Wortmann, Wolfram Eilenberger, Simon Roloff, Georg M. Oswald, Frank Willmann, Hans Meyer, Norbert Kron, Moritz Rinke, Konstantin Richter, Florian Werner, Jochen Schmidt und Hans Ulrich Gumbrecht.

Tonspur: Brief an den Besten

Nur hier: der Bonus Track !

Andy Brehme (Rom, Wolfsburg)
von Neuzugang Michael Kröchert

1987. Ich trug eine graue Jacke, meine Mutter hatte mir die Haare geschnitten, und wir gingen mit der ganzen Klasse zu einem Spiel zwischen Bayern und Bremen in unserer Provinzhauptstadt. Der Tag war dunkel gewesen. Wir machten einen auf Fans, beim Benefizspiel. Dann war das Spiel aus und alle Kinder stürmten selbstverständlich das Feld. Was sollte man auch sonst tun? Die Spieler trotteten gelangweilt Richtung Umkleidekabine, ich rannte zu einem Bayern-Spieler. Das Rot in der deutschen Herbstwüste muss einzigartig anziehend gewirkt haben. Grau, grün, braun, schwarz, ocker, oliv und nochmal schwarz, dunkelgrün, ocker, schwarzgrün, neonschwarz. Das Rot war eine Sensation. Wen zieht das nicht in seinen Bann? Es war Andy Brehme. Ich hielt ihm eine Postkarte von der Bayern-Mannschaft hin und einen Stift, fragte ihn nach einem Autogramm „Kann ich ein Autogramm ha´m?“ Er besah die Karte einen Moment lang und sagte „Ne, da bin ich gar nicht drauf“, und ging weiter.

Siebzehn Jahre später sah ich ihn in Wolfsburg wieder: Er, der Schiedsrichter und der argentinische Torwart stellten den Elfmeter von 1990 nach. „So war es ja vertraglich vereinbart worden.“ „Originalgetreu.“ Alles sollte exakt so sein wie damals: Schiri, Brehme, Goycochea, die Trikots… dann kam der Pfiff. Goycochea sprang in die linke untere Ecke, genau wie damals, aber Andy Brehme schoss in die andere Ecke, und man sah sein rötliches Grinsen bis hinauf in die letzte Reihe. Goycochea ließ enttäuscht und verwundert die Arme sinken, er hatte sich angestrengt, wollte den Ball diesmal halten, hätte sich also auch nicht an die Tatsachen gehalten? Die drei gingen gleich wieder vom Feld, die Halbzeitpause war vorbei.

Traumstadtbuch – New York, Berlin, Moskau
Rowohlt Literaturmagazin 46

Herausgegeben von Ralf Bönt, Dirk Vaihinger
und Sylvia Sasse
Reinbek 2001

Wenn wir die Welt als lesbaren Text begreifen, können wir die Stadt als ein einzigartiges literarisches Programm verstehen – als Schnittstelle zwischen den Zeitaltern. Zu diesem Thema tragen namhafte junge Autoren aus den Metropolen New York, Berlin und Moskau in einer grenzüberschreitenden Anthologie bei: Erzählungen, Reminiszenzen, Visionen, Comics, Collagen und Fotos stehen hier gleichberechtigt nebeneinander und geben Auskunft über die Stadt als den Ort, wo zukünftig über Probleme und Chancen der Menschheit entschieden wird. Unter anderem enthält diese Anthologie Beiträge von Ellen Miller, Terézia Mora, Felicitas Hoppe und Maggie Estep, sowie von den viel gelobten Russen Victor Pelewin und Vladimir Sorokin. Ein starkes Stück ist das Interview, das Claudia Kramatschek mit Sapphire alias Ramona Lofton, Autorin des als ‘Precious’ verfilmten Romans ‘Push’, führte und in den Bericht über die Slam Poetry Szene einbettet, aus der heraus Sapphire bekannt wurde. Titel: Ich wollte nie underground sein.

Rezension Berliner Zeitung lesen

Konzepte – Literatur zur Zeit

hg. vom Bundesverband junger Autorinnen
und Autoren e.V., Bonn
Redaktion: Ralf Bönt (1996 und 1997)