Der G-Punkt der Mobilität

Zur Hybrid-Lüge: Innovation des Autos beginnt beim Gewicht


Das viktorianische London ist die erste Millionenstadt gewesen, die größte Metropole seiner Zeit. Sie hatte anscheinend viele Vorzüge. Und natürlich hatte sie eine Menge Probleme. Eines der größten fiel im damals schon äußerst angestrengten Straßenverkehr an: Die fünfzigtausend Pferde der Stadt hinterließen eintausend Tonnen Dung, – am Tag.
Der Dung belästigte nicht nur die feinen Londoner Nasen, sondern stellte eine grobe Beeinträchtigung der Gesundheit aller dar. Vielleicht gehört ja deshalb das einzige überlebende Exemplar aus Carl Benz’ erster Serie des Motorwagens dem Science Museum London? Es befreite von den Pferden und roch nach Fortschritt.
Aber heute ist die Situation nicht besser, sondern tatsächlich schlechter. Jährlich schätzt man etwa 60.000 deutsche Feinstaubtote. Berlin, das seit dem Mauerfall zig Millionen in Gasheizungen investiert hat, um der rauchenden Kohleöfen ledig zu werden, gehört zu den ersten Gemeinden, in denen man zuviel Russpartikel, Reifenabrieb und Bremsbelag inhaliert, um gesund zu bleiben. Der Russ kommt von den jahrelang steuerlich geförderten und als ökologisch gehypten Dieselautos, die sich nun als Dreckschleudern entpuppen. Sie stoßen u.a. viele tausend Tonnen Stickstoffmonoxid NO aus. Das ist ein Neurotransmitter, der Denkgeschwindigkeit und Blutdruck kontrolliert, und in der Ausatemluft 200 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreiten sollte. Er verdrängt im Organismus Sauerstoff. Ein Abbauprodukt von Stickstoffmonoxid ist Peroxynitrit, gegen das die Nitratbelastung aus Nahrungsmitteln und der Luft ein Witz sein kann. Strikte Grenzwerte für NO sind in Arbeit. Viele LKW, so rühmen sich die Hersteller, spritzen mittlerweile zwei Liter Harnstoff pro 100 Kilometer in den Auspuff, der wiederum das Stickoxid unschädlich machen soll. Im PKW beginnt man jetzt auch damit, blue tec heißt das bei Mercedes. Einhundert Jahre nach der Pferdebahn atmen wir noch immer Dreck. Und leider viel mehr als damals. Aber wieso eigentlich mehr?
Eine kleine Überschlagsrechnung: eine Pferdestärke sind gut 750 Watt, die Londoner Pferde brachten für tausend Tonnen Dung also 37,5 Megawatt auf. Ein Mittelklassewagen hat heute mindestens 80 PS oder 60 Kilowatt. Im Großraum Berlin bewegen sich zirka 3 Millionen Autos, macht 180.000 Megawatt. Umgerechnet kommen wir auf einen Wert von 45.000 Megawatt für eine Million Städter: 1200mal so viel wie im viktorianischen London. Es ist zwar kein Dung mehr, aber bei sehr hohen Temperaturen verbrannter Diesel ist schlimmer, und der ganze Dreck befindet sich in der Luft. Dabei ist saubere Luft ebenso eine Ressource wie Öl.
Wieso nun kamen die Viktorianer mit dem tausendsten Teil an Energie im Transport aus? Man wird kaum behaupten können, dass der Transport in einem entsprechenden Maße schneller oder tausendmal besser ist als damals. Die Antwort ist sehr einfach: Der Pferdebus transportierte sehr viele Menschen mit sehr wenigen Pferden. Heute transportieren 60 Kilowatt fast immer nur einen Mensch durch unsere ansonsten schönen Städte. Der Rest ist nur Auto. Es wiegt weit über eine Tonne und transportiert fast nur sich selbst.
Man spricht gern darüber, dass 30% der gefahrenen Kilometer in der Stadt Parkplatzsuche sind, das Auto also zu groß ist, dass vom Rest mindestens die Hälfte Pendlerfahrten derer sind, die in den verfeinstaubten, verlärmten Städten nicht mehr wohnen können oder wollen, und dass das Risiko für Herzinfarkt bei Männern, die an Hauptstrassen schlafen, um 30% erhöht ist, weil die ganze Nacht Stresshormone fliessen. Die Pendler auf dem Münchner Ring sollten laut Stauforschung am besten konstant 30 km/h fahren, dann wären alle am schnellsten zuhause. Man spricht aber kaum je davon, dass der Transport des vielen Blechs gar nicht mehr nötig ist. Die Hälfte der anfallenden Fahrten in der Stadt ist unter 2 Kilometer lang, so dass Motor und Heizung gar nicht warm werden. Es stimmt: Man wäre mit dem Rad schneller. Achso, das Fahrrad!?! – Nein, keine Angst, dies ist kein Plädoyer für Verzicht und technische Abrüstung. Denn bei Strecken ab 10 km, bei Regen, beim Einkaufen oder Theaterbesuch ist das Fahrrad nicht konkurrenzfähig, und außerdem macht Autofahren einfach auch zuviel Spaß. Wir benötigen aber technische Aufrüstung in einer anderen Richtung, als der bislang eingeschlagenen.
Ein Blick aufs Fahrrad hilft viel weiter als das Hybridauto, das einen sehr großen Fehler hat: Es ist schwerer und aufwendiger als das alte Auto. Nicht nur bei der Herstellung und dem Erneuern der Batterie verbraucht es mehr Ressourcen und des Besitzers Geld. Es muss auch bei jedem Start an der Ampel noch mehr Gewicht schleppen, als es zuvor schon der Fall war. Natürlich muss es wegen der zusätzlich zu tragenden Technik auch robust sein, vor allem wenn alles auch schnell fahren können soll, zum Beispiel 200 km/h. Ein Teufelskreis.
Tatsächlich stimmen auch die Angaben über den Verbrauch kaum, wo 4,5l angegeben sind, kommen meist – wie beim Toyota Prius – fast sechs Liter heraus. Der Benzinmotor springt halt immer gleich an. Und auf langer Strecke? Man transportiert den Elektromotor und die Batterie in die Toskana oder Provence, um dann an einer Ampel eine kleine Anfahrhilfe zu haben. Was am Auto Hybrid ist, transportiert sich am Ende womöglich nur selbst. Ein positiver ökologischer Effekt darf insgesamt bezweifelt werden. Man macht beim Hybrid denselben Fehler wie beim Dieselhype: Was wie wenig Verbrauch aussieht, ist am Ende eine Eskalation in den Schadstoffen.
Fahrradfahren kann man übrigens ganz gut mit 150 Watt, ohne langsam zu sein. Ein gutes Fahrrad wiegt heute eben nur noch 6 Kilogramm. Die Laufräder wiegen je zirka 500 Gramm, aber haben Sie einmal Ihre Winterreifen auf den Kofferraum zugerollt und dann hinein gehoben? Der Hybrid oder das von Shai Agassi in Israel geplante Elektroauto, mit 200 Kilogramm schwerer und 14.000 Euro teurer Batterie, die man alle 100 km wechseln muss, ist sperrig, unflexibel, teuer, und gemessen an seinem Nutzen verbraucht es zu viele Ressourcen.
Wir müssen wegkommen vom Verbrauch als Richtgröße und auch von den Schadstoffen pro Kilometer. Richtig wäre, Schadstoffe pro transportiertem Kilogramm Nutzlast auf den Kilometer zu messen.
Hier muss technologisch aufgerüstet werden, das heißt: das Fahrzeuggewicht muss runter. Wir sind bei den Vorteilen des Fahrrades angekommen, die es mit den Vorteilen des Autos zu vereinen gilt. Um zwei Personen trocken und warm durch die Stadt zu fahren, reicht beim Stand der Materialtechnik sicher ein Vehikel mit einem Eigengewicht von 30 Kilogramm. Das Ding sollte gut aussehen, keine Frage, aber nur eine der Designabteilung. Zur Fortbewegung samt quietschender Reifen vor der Eisdiele reicht dann jedoch die Starterbatterie meines BMW, Treten ist überflüssig.
Der erste Motorwagen brachte Bertha Benz und ihre zwei Söhne Eugen und Richard übrigens mit weniger als einem PS von Mannheim zur Großmutter im 110 Kilometer entfernten Pforzheim. Er war sehr langsam und am Berg eine Katastrophe, aber er wog eben auch 265 Kilogramm. Stellen wir uns vor: Er wiegt nur noch ein Viertel, hat ein Dach und genug Komfort für kurze Strecken. Er hat aber keinen Tank, kein Getriebe, keine leistunsgmindernde wassergefüllte Kühlung, keinen Elektrostarter samt Extrabatterie. Mit vielleicht 30 PS beschleunigt der leichte Wagen besser als ein Porsche Carrera, die Batterie ist klein und hält lange genug durch, Betriebskosten sind ein Klacks. Schade, dass das Science Museum London den damals filigranen Motorwagen derzeit im Depot in Swindon versteckt. Man sollte ihn rausholen und daneben eine Studie des Pasadena Art Center College of Design stellen, um zu zeigen, wie so was heute aussähe. Und was es wöge.

© Ralf Bönt