Kritik am Feminismus alter Schule ist richtig
Es ist viele viele Jahre her, ich war noch sehr jung, als heftig über das Quorum debattiert wurde: Die Beteiligung von Frauen an hohen Ämtern per Quote, also über Qualifikation per Geschlecht. Dafür sprach natürlich, dass man Frauen beteiligt sehen wollte und nicht glaubte, es anders hinzubekommen. Dagegen sprach, dass diese Frauen in ihren Ämtern nicht ernst genommen würden, denn sie säßen dann schließlich nur als Alibi auf ihren Stühlen. Man würde die Frauen belächeln und der Sache einen Bärendienst erweisen. Ich erinnere mich gut an eine Talkshow mit Alice Schwarzer. Auf die Frage, ob sie nun für oder gegen das Quorum sei, sagte sie, sie sei dafür, könne selbst aber nie eine Quotenfrau sein. Man kann sinnieren, ob diese Haltung von Frau Schwarzer den Frauen mehr oder weniger schadete als das Quorum. Mein Interesse für die Kollegin hatte damit jedenfalls sein frühes Ende gefunden, und vielen Männern ging es mit ihr genauso, meist freilich aus weniger filigranen Gründen. Sie hat immer alles getan, um die Männer gegen sich zu haben.
Für die Quote oder das Quorum bin ich damals gewesen, wie ich es heute noch bin. Wir brauchen es auch noch eine Weile, nicht nur in der CSU. Durch diesen politischen Schritt, der sich nicht prinzipiell von der Aussetzung der Fünfprozentklausel für die dänische Minderheit in der schleswig-holsteinischen Landtagswahl unterscheidet, haben viele Frauen zeigen können, wer sie sind, was sie wollen. Sie haben Positionen durchgesetzt, unser Land nachhaltig verändert. Wir hatten eine Bundestagspräsidentin. Heute haben wir eine Bundeskanzlerin und es hätte auch sein können, dass wir obendrauf eine Bundespräsidentin bekommen hätten. Schon gab es Stimmen, die sagten, nein, dass müsse jetzt an einen Mann gehen. Man stelle sich dieses Argument 1980 vor, oder 1990. Alice Schwarzer hat vielleicht recht: Der Feminismus ist die folgenreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts. Seien wir nicht pingelig und lassen den Antifaschismus, die Friedensbewegung und Antiatombewegung weg, die Schwulen- und Lesbenbewegung betrifft nur zirka zehn Prozent der Bevölkerung, vergessen wir die Ökologie, und sortieren wir die Arbeiterbewegung und die Sozialdemokratie für einen Moment nachsichtig ins 19. Jahrhundert ein und die Wissenschaft, deren Erfolgsgeschichte so atemberaubend ist, dass niemand sie zur Kenntnis nimmt, in eine andere Kategorie. Letztere hatte auch riesige Kollateralschäden, denn Nazis und Kommunisten mißbrauchten sie auf das Schlimmste, weil sie sich ihrer selbst nicht bewußt war: Ein großes Problem bis heute. Nein, vielleicht ist der Feminismus unter den sozialen Bewegungen sogar noch mehr: die glücklichste.
Heute haben wir ja auch eine Familienminsterin. Das ist nichts neues, aber Kristina Schröder ist ein ganz neuer Typ, eine neue Generation Frau in Führungsposition. Sie profitiert von ihren Vorgängerinnen, die die ersten Schritte zur Auflösung der Klischees gegangen sind und dabei männlicher als jeder Mann sein mussten. Denken wir an Margaret Thatcher, die wie kein anderer Politiker (!) zeigte, wie dämlich und gefährlich das Machogehabe ist. Unter ihrer Leitung sah der Falklandkrieg nicht mehr aus, wie Krieg immer aussehen sollte: Hart, aber zwangsläufig. Aber natürlich musste sie der härteste Mann in ganz England sein, um überhaupt ins Amt zu kommen. Dasselbe galt für Colin Powell: Er war in seinen Positionen weißer als der durchschnittliche weiße Republikaner. Er war skrupelloser und grinste breiter dazu. Es ist nicht der Treppenwitz, sondern der Gang der Geschichte, dass Barak Obama sich heute nicht nur eine schwarze Identität erlauben, sondern auch noch beinahe weiblich daherkommen kann. Spannend, wenn die herbe, aggressive und auf Dominanz zielende Sarah Palin gegen ihn antreten sollte. Verkehrte Welt – wie schön! Ich tippe auf Obama.
Kristina Schröder jedenfalls hat es auch nicht mehr nötig, maskulin aufzutreten, noch weniger als die neutrale Angela Merkel. Aber darin erschöpft sich das Agieren der Ministerin zum Glück nicht. Die Gründung eines Referates für Jungs ist ein kühner Schritt, und sie ist ein Paradigmenwechsel, für den viele Jahrzehnte lang gekämpft wurde. Sie ist sogar der entscheidende Schritt. Denn Jungs, aufgepasst, müssen plötzlich geschützt werden! Vor der Benachteiligung durch und gegenüber Frauen. In der Schule. An der Wurzel der Karriere, im Sandkasten der Chancengleichheit. Aufgrund der Analysen und Erkenntnisse der Fachleute. Welch eine unerhörte Beleidigung des starken, unangreifbaren Geschlechts! Man stelle sich dies 1980 oder 1990 vor, der Minister wäre aus dem Amt gejagt und zur Behandlung geschickt worden. Die Gründung des Jungenreferates bedeutet ja nicht weniger, als dass die Vorherrschaft des Mannes, die mit der natürlichen intellektuellen Überlegenheit begründet wurde, gebrochen ist. Sie existiert nicht mehr. Also war sie auch nicht Gott gegeben. Alle Argumente zu ihrer Verteidigung waren falsch! Alles Abwinken und Belächeln war nur hilfloses Getue! Jungenreservate, Männerhäuser: Alice Schwarzer ist am Ziel. Aber sie sieht es leider nicht ein. Denn natürlich gibt es noch immer Ungerechtigkeiten bei Ämtern und Verdienst, vieles bleibt zu tun und zu erreichen.
Karriere selbst muss vielleicht auch gar nicht immer an Platz 1 im Leben sein, wie Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering zeigen konnten und Robert Enke eben leider noch nicht. Aber Jungs in einem Klima aufwachsen zu lassen, in dem sie selbstverständlich sagen können: Ich werde hier nicht ernst genommen, als der, der ich bin, das muss das ferne Ziel gewesen sein. Diese Jungs werden als Männer anders sein, als alles was wir von Männern kennen. Sie leben endlich nicht mehr unter dem Verdikt, auf alle Fälle den harten Max geben zu müssen und niemals krank zu sein.
So richtig oder verständlich die Agressivität und verbale sexuelle Gewalt der Schwanz-ab-Frauen vor vierzig Jahren gewesen sein mag, so falsch ist sie heute. Heute sind längst Zigaretten und Schokolade nötig, um auch den letzten Hirni, der glaubt, er könne nicht zurück gesetzt, benachteiligt und beleidigt werden, der glaubt, keine Gefühle zu haben, die man verletzten kann, aus seiner Garage zu locken und zum Sprechen zu bringen. Nun gut, viele Ältere werden es nicht mehr lernen. Die Jungen aber, die jetzt ein Referat im Familienministerium zu ihrem Schutz bekommen haben, werden sorgsamer mit sich umgehen.
Aber lese ich Alice Schwarzers offenen Brief an die Ministerin Schröder, dann habe ich wie damals bei der Talkshow zum Quorum das Gefühl, dass sie die Frauen schwach und unterdrückt braucht, um sich als ihre Heldin und Befreierin installieren zu können. Kristina Schröder, die ihre Karriere unter anderem auch dem Feminismus verdankt, und die Mehrheit der jungen Frauen wenden sich von Alice Schwarzer und noch deutlicher vom Feminismus selbst ab. Sie fühlen, dass die alte Kämpferin genau jenen Weg versperrt, den sie öffnen wollte und geöffnet hat. Ihr Femimismus, der da steht wie ein später Beckenbauer, kann sich in die Rente verabschieden. Der Feminismus 2.0 hat endlich begonnen. Es ist der echte Antisexismus. Und nur so kann das Erreichte verteidigt werden: Indem man es weiter entwickelt.
Copyright Ralf Bönt